Hören
Es gab diesen winzigen Moment im vergangenen Sommer: Ich war mit meiner Tochter unterwegs. Die Sonne schien von einem blauen Himmel, wir kauften ein, erst im Supermarkt, dann musste ich für eine alte Freundin Zigaretten besorgen und ging in eine Bude, eine Ruhrgebiets-Trinkhalle, die aber aufgeräumt wie ein Tante-Emma-Laden war. Der Inhaber verstaute die Schachteln lose in einer Plastiktüte und erzählte von seinen Teenagern, Marken-Turnschuhen und davon, dass ihn häufig nachts die Freunde seines Sohns anrufen, er soll das Telefon weiterreichen. Meine Tochter durfte sich süß-saure Gurken aus dem Glas nehmen. Wir hatten Zeit.
Dieser Moment, ich weiß nicht warum, fand Eingang in mein Archiv glücklicher Erinnerungen. Vielleicht weil alles leicht war. Das Haar noch naß vom Freibad, ein offenes Fenster auf der Rückfahrt, Sommerwind und später Salat im Schatten. Ein Moment dazwischen – zwischen zwei Abschieden, aber davon wusste ich nichts.
Ein paar Wochen zuvor war ich auf der Verabschiedung der Viertklässler sehr traurig gewesen. Morgens hatte ich die Reise ins Reich des Meerkindes fertig gestellt, ich habe sie meiner Tochter und ihren Freund:innen geschenkt, um ihnen damit Mut für den neuen Lebensabschnitt zuzusprechen: Etwas Altes endet, Neues beginnt. In der Reise erzähle ich, wie das Meereskind nach Hause kommt: „Es ist das gemütlichste Zuhause, das du dir vorstellen kannst“. Jetzt geht es in die Ferien.
Weißt du schon, worauf du Lust hast? Vielleicht Bücher lesen? Das Meer erkunden? Oder im Garten neben der hübschen Skulptur spielen und ein Korallenhaus bauen? Wenn freie Zeit vor einem liegt, ist Raum. Raum für Lieblingsdinge, die irgendwann zu wunderschönen Erinnerungen werden.
Dann entdeckt das Meereskind auf dem Dachboden einen Schatz. Eine Truhe mit Smaragden und einer Perle, die geheimnisvoll wie der Mond schimmert. Außerdem Goldmünzen. Das Meereskind nimmt eine Münze in die Hand, spürt den welligen Rand, und sieht, dass in der Mitte des Talers eine Szene eingraviert ist.
Vielleicht siehst du dich selbst. Vor ein paar Tagen, Wochen, Jahren, wer weiß es schon. Es ist ein glücklicher Moment, der auf der Münze festgehalten wird. Schau dir die Erinnerungsmünze in deinem Tempo und auf deine Weise an. Und vielleicht magst du noch mehr Münzen betrachten. Auch auf sie sind wertvolle Erinnerungen eingeprägt.
Ich lade das Meereskind ein, oder dich, wenn du diese Reise hörst, in Erinnerungen zu schwelgen. In ihnen zu baden.
Doch irgendwann ist der Moment gekommen, in dem das Meereskind die Münzen zurück in die Truhe legt – behutsam, als wären sie aus Porzellan. Tief in seinem Inneren weiß es, dass es diesen Schatz in sich trägt.
Leichter geworden, schwimmst du nun aus einem Dachfenster hinaus. Schwimmst hinauf dorthin, wo du die Sonne als runde Scheibe an einem weit enfernten Himmel siehst. Du schwimmst und schwimmst, gezogen von einer unsichtbaren Kraft, dem Leben selbst oder dem Licht der Sonne, dieser wärmenden Energie, die für dich da ist seit dem Tag deiner Geburt.
Dazu hörst du Hajos wunderschöne Vogelflug-Musik mit Klavier, die das Gefühl des Aufstiegs vermittelt.
Die Reise ins Reich der Meerjungfrau lag hinter mir am Tag des Trinkhallen-Besuchs. Ich wusste zu dem Zeitpunkt noch nicht, was mich zu der nächsten Reise inspirieren sollte – der Pusteblume, die ja ein ganz ähnliches Thema wie das Meereskind hat.
Kürzlich schrieb mir ein Hörer, dass er die Traumreise “Die Pusteblume” sehr mag, er schickte mir Fotos von Pusteblumen, die er auf einem Spaziergang im Allgäu geschossen hatte. Ich war gerührt.
Das hat mich an diesen Dazwischen-Moment denken lassen. Daran, wie schnell alles vergeht und wie gut es ist, sich besondere Erinnerungen zu schaffen, und wenn sie noch so banal sind. Kleine Erinnerungsinseln. Am besten jeden Tag.