Selbstwirksamkeit. Wo das schöne Leben nach Schizophrenie beginnt.
Selbstwirksamkeit. Wo das schöne Leben nach Schizophrenie beginnt.

Selbstwirksamkeit. Wo das schöne Leben nach Schizophrenie beginnt.

Schizophrenie ist eine der häufigsten und schwersten Formen einer Psychose. Sie geht oft mit Wahnvorstellungen, Halluzinationen und einem gestörten Denken einher, und der Ausbruch erfolgt häufig zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr. So auch bei Puja Angelika Büche. Die Cellistin, Sozialarbeiterin und Buchautorin hat mit mir über ihre Diagnose und das Leben mit Schizophrenie gesprochen.

Bei dir ist vor etlichen Jahren Schizophrenie diagnostiziert worden. Damals hast du Stimmen gehört.

Ja. Ich war 27 Jahre alt, hatte gerade mein Cellostudium in Köln abgeschlossen und wollte in einer anderen Stadt meinen Master machen. Alles war perfekt und gesettelt – und dann drehe ich durch! Es fing an mit wachtraumartigen Sequenzen, die ich nicht einordnen konnte, irgendwann hörte ich Stimmen. Zunächst eine Frauenstimme, die um Hilfe rief. Ich sprach mit einem Psychiater darüber, und er verordnete mir ein Schlafmittel. Geholfen hat das aber nicht. Die Stimme blieb, und es kamen weitere hinzu, sie wurden immer lauter, immer quälender. Kurze Zeit später habe ich versucht, mich umzubringen.

Um den Stimmen zu entfliehen?

Genau. Du musst dir vorstellen,  dass es ist, als würde immer jemand in dein Ohr sprechen und Dinge sagen wie: „Verletz dich“. „Du bist ein Monster, kein Mensch“. „Du musst Schmerzen haben“. So war es bei mir. Irgendwann war ich allein zu Hause, habe eine Woche lang nicht mehr geschlafen, nicht mehr gegessen, nicht mehr geduscht. Die ständigen Stimmen zermürbten mich so sehr, dass ich von einer Brücke sprang. Es war nicht unbedingt so, dass ich sterben wollte, aber die Stimmen im Ohr haben einfach nicht aufgehört. Ich war getrieben von ihnen und wollte, dass der Spuk ein Ende hat. 

Die Polizei hat dich aufgegriffen und ins Krankenhaus gebracht. 

Ja, ich wurde in die geschlossene Abteilung zwangseingewiesen und habe dort ein ganzes Jahr verbracht. Die Medikamente haben gegen die Stimmen geholfen.

Wie war es für dich, die Diagnose Schizophrenie zu erhalten?

Einerseits war ich erleichtert, weil ich wusste, dass ich eine Krankheit habe, gegen die ich etwas machen kann. Ich musste also nicht in Qualen weiterleben. Auf der anderen Seite kam es mir vor, als sei mein bisheriges Leben zu Ende. Die Ärzte sagten zu mir: „Schon’ Dich und heirate am besten, damit Du versorgt bist.“ Das war ein Schock. Ich hatte zwei Lehraufträge an Hochschulen, die ich aus Scham darüber, ein „Psycho“ zu sein, aufgegeben habe. Anschließend habe ich soziale Arbeit studiert. In die Führungsetage in dem Bereich konnte ich mich aber nur hocharbeiten, weil ich meine Krankheit verschwiegen habe. Als Ergotherapeutin, systemische Beraterin und Sozialarbeiterin darf man nicht schizophren sein.

Weißt du, warum die Schizophrenie ausgebrochen ist? Es werden für die Entstehung ja verschiedene Ursachen angenommen, darunter genetische Faktoren und Stress. 

Bei mir kam einiges zusammen: Misshandlungen in der Kindheit. Dann ein ziemlich stressiges Studium plus eine vermutlich angeborene Grundempfindsamkeit. Ich hatte keinerlei Selbstvertrauen. Die Note eins in der Prüfung meines Cello-Studiums und die Tatsache, dass ich als Cellistin mit  Leonard Bernstein auf Tour gewesen war, dem berühmten Dirigenten und Komponisten der „West Side Story“, bedeuteten für mich nicht, dass ich gut bin. Ich fühlte mich trotzdem ungenügend. Interessant war übrigens, dass sich bereits vor dem Ausbruch der Schizophrenie mein Cello-Spiel verändert hat. Ich war  wie abgeschnitten von meinen Gefühlen, und weil ich meine Emotionen nicht mehr spüren konnte, konnte ich sie auch nicht in Musik freisetzen.

Zu den Symptomen der Schizophrenie gehört auch das Gefühl, dass andere die eigenen Gedanken lesen könnten. Hast du das auch erlebt?

Ja. Ich hatte das Gefühl, meine Gedanken wabern durch die ganze Stadt. Wenn ich selbst unterwegs war, dachte ich, alle können lesen, was für ein schlimmes Wesen ich bin. Weil es das war, was mir durch den Kopf gegangen ist und das war, was die Stimmen zu mir gesagt haben.

Nimmst du heute noch Medikamente? 

Wenn ich zum Thema referiere, fragen mich Betroffene und Angehörige immer wieder, ob und wie man Medikamente absetzen kann. Ich sage dann immer: „Du musst gar nichts absetzen, sonst drehst du wieder durch“.  Denn es gibt ein fast hundertprozentiges Rückfallrisiko. Ich selbst habe erstmals mit 45 versucht, auf die Medikamente zu verzichten. Es ist mir aber nicht gelungen, die Tabletten komplett wegzulassen. Heute nehme ich sie in absolut geringer Dosis, aber ich nehme sie immer noch.

Welche Rolle hat eine Psychotherapie gespielt? 

Die Medikamente haben mir das Leben gerettet. Aber erst die Psychotherapie hat mich wieder zu einem glücklichen Menschen gemacht. Dorthin war es allerdings ein langer Weg. Anfangs, und das ist vermutlich typisch für viele Schizophrene, dachte ich, ich brauche keine Therapie. Das hat sich geändert, als ich nach Berlin gezogen bin und festgestellt habe, dass meine Freunde meinen Zustand nicht auffangen können. Ich hatte mich zu dem Zeitpunkt von meiner Freundin getrennt und das Studium abgebrochen, ich war also in einer sehr schwierigen Situation. Die Therapeutin, die ich dann aufgesucht habe, hat mich sehr lange begleitet. 

Hast du Rückfälle? 

Laut Schulmedizin ist Schizophrenie unheilbar – wobei ich meine Zweifel daran habe, dass das stimmt. Aber ich selbst habe keine Angst mehr vor einem Rückfall. Ich kann in Stresssituationen vielleicht nochmal ein wisperndes Stimmchen nah am Ohr hören. Aber es sagt nichts Wichtiges. Und ich weiß, was zu tun ist. Ich muss gut schlafen, gut essen und vielleicht meine Medikamente leicht erhöhen.

Welchen Rat gibst du Menschen, die an Schizophrenie leiden?

Suche dir gute Unterstützung. Das hat mir enorm geholfen. Gleichzeitig ermutige ich alle, nicht in der Opferrolle zu verharren. Besonders Menschen, die Traumatisches erlebt haben, sind dafür anfällig, doch dort gibt es nichts Positives. Das schöne Leben beginnt, wenn man sich als selbstwirksam erkennt. Wenn man nicht mehr darauf wartet, dass andere einem helfen, sondern lernt, sich selbst eine gute Freundin oder ein guter Freund zu sein.

Puja Angelika Büche 

hat Cello studiert. Später arbeitet sie als Sozialarbeiterin mit jugendlichen Straftätern und als Ergotherapeutin. Über ihre Erfahrungen mit Schizophrenie hat sie das Buch „Lass dich nicht ver-rückt machen: Ein Mutmachbuch zum Thema Schizophrenie für Betroffene, Angehörige und Helfende“ geschrieben.