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“Morgens pfeifend zur Dusche”

Hast du schon mal von den Fünf Tibetern gehört? Die Fünf Tibeter sind eine Abfolge von fünf Übungen, die Körper und Geist gesund halten sollen. Ich habe sie durch Dieter Gurkasch kennen gelernt. Und wenn Dieter Gurkasch durch sie morgens pfeifend zur Dusche geht – dann ist das wirklich was Besonderes. Denn Dieter saß mehrfach im Gefängnis, einmal wegen schweren Raubmords. Für ihn waren die Fünf Tibeter ein Gamechanger im Leben, sagt er – vom Saulus zum Paulus. Heute unterrichtet er Meditation und Yoga im Gefängnis und hilft dadurch vielen Menschen.

Wieso hast du plötzlich mit Yoga angefangen?

Ich war, nachdem ich das erste Mal aus dem Gefängnis entlassen worden war, direkt rückfällig geworden – mit Raubüberfällen. Einmal geriet ich in ein Feuergefecht mit der Polizei, in dem mich eine Kugel im Rücken traf. Ich lag auf dem Boden und dachte: Das war’s. Ich sterbe. Bin ich aber nicht. Stattdessen wurde ich zu 13 weiteren Jahren Haft verurteilt. Und ich wusste nicht, wie ich die Zeit überstehen soll. Denn mein grenzenloser Hass und der Zorn, zwei Gefühle, die mich zuvor angetrieben und am Leben erhalten hatten, waren durch die Erfahrung des nahen Todes verschwunden. Gleichzeitig gab mir meine damalige Frau zu verstehen, dass sie auch dann bei mir bleibt, wenn ich schwach bin. Das war neu für mich. Ich befand mich dadurch auf der Suche nach einer anderen Art zu Leben. Ich steckte in einer ziemlich tiefen Krise.

In dieser Zeit hast du die Fünf Tibeter kennengelernt.

Ja. Meine Frau beschäftigte sich zu jener Zeit mit spirituellen Theorien. Ich konnte mit ihnen zwar nicht viel anfangen, trotzdem kam ich über sie zu den Fünf Tibetern. Oder die Fünf Tibeter kamen zu mir. Denn ich hatte mir in jener Zeit eine Muskelverletzung beim Sport zugezogen und konnte nicht wie gewohnt täglich drei Stunden trainieren. Ich konnte aber die ‘Mädchengymnastik’ absolvieren, wie ich die Fünf Tibeter damals nannte. Also habe eines Tages angefangen, in meiner etwa sieben Quadratmeter großen Zelle den „Kreisel“, die „Kerze“ oder den „Halbmond“ der Fünf Tibeter auszuprobieren. Ich habe mir davon nicht viel versprochen. Aber nach einigen Tagen ging es mir besser als jemals zuvor.

Woran hast du das gemerkt?

Ich hab mich dabei erwischt, wie ich morgens im Knast pfeifend zur Dusche  ging – und im Knast ist man schon fast statusmäßig schlecht gelaunt. Auch beim Treppensteigen fiel es mir auf. Ich war richtig beschwingt. Nach ein paar Wochen haben mich Mit-Insassen auf dem Hof gefragt, ob ich ihnen etwas von dem Zeug verkaufe, was ich nehme, und das mir so gute Laune macht.

Wie erklärst du dir das?

Die Fünf Tibeter sind sogenannte Bandhas, Praktiken, die durch das Zusammenziehen bestimmter Muskeln Energie im Köper festhalten und die einige vielleicht aus dem Yoga kennen. Man kann sich die Bandhas wie Energielenkungsschleusen vorstellen. Werden sie durch Übungen geöffnet, fließt die Lebensenergie Prana durch den Körper. Dadurch verleihen einem die Übungen die Energie, Dinge anzupacken, die man vielleicht schon immer einmal machen wollte, zu denen man sich bislang aber nicht hatte durchringen konnte. Mit dem Rauchen aufzuhören oder Abnehmen zum Beispiel.

Heute unterrichtest du als Yogalehrer in Gefängnissen. Kannst du mit den Fünf Tibetern anderen Menschen helfen?

Durchaus. Ich erlebe viele Gefangen, die tiefe spirituelle Erfahrungen machen und ihr Leben massiv verändern. Einer hat beispielsweise zwei Banküberfälle gestanden, die man ihm nicht hatte nachweisen können. Bei den Fünf Tibetern geht es außerdem auch immer darum, im Jetzt zu leben – dieser Gedanke kann im Gefängnis sehr hilfreich sein, wo man innerlich oft verzweifelt und von Langeweile und Wut geplagt ist. Wie fühle ich mich jetzt?, lautet die entscheidende Frage. Ich hab jetzt keinen Hunger, keinen Durst. Niemand trachtet mir nach dem Leben. Entspann Dich also!

Was rätst du Neueinsteiger*innen?

Ich empfehle, sich Zeit zu lassen und die Übungen zu genießen. Und nicht wie in manchem Buch vorgeschlagen, von Übung zu Übung, Wiederholung zu Wiederholung, zu hetzen, bis man bei der Zahl 21 angelangt ist. Es ist kein Sport, also brems Dich! Gut ist, die ersten drei Wochen drei Tibeter hintereinander zu praktizieren und sich anschließend langsam auf fünf Wiederholungen zu steigern. Diesen Zustand kann man dann eine Weile beibehalten. Zehn Minuten am Anfang oder 20 Minuten später reichen völlig aus.

Eine Anleitung findet ihr hier:

Dieter Gurkasch

wurde 1961 in Hamburg geboren und 1985 nach einem bewaffneten Raubüberfall zu seiner ersten Gefängnisstrafe von elf Jahren verurteilt. Nach seiner Freilassung brachten ihn weitere Delikte erneut in Haft. 2011 wurde er frühzeitig entlassen. Vier Jahre zuvor hatte er gemeinsam mit dem Pfarrer der JVA Fuhlsbüttel die erste offizielle Yogagruppe im Gefängnis gegründet. Mit dem Verein „Yoga und Meditation im Gefängnis“ möchte er Yoga und Meditation hinter Gittern als niederschwelliges Therapieangebot etablieren – als Werkzeug der Resozialisierung. 2013 veröffentlichte er seine Autobiografie „Dieter Gurkasch. Leben Reloaded – Wie ich durch Yoga im Knast die Freiheit entdeckte“.